Heimschneider Nach den Steinmetzen kamen die Schneider Die Steinmetzen und Steinhauer nahmen schon seit dem Mittelalter (zwischen 6. und 15. Jh.) in Pflaumheim eine besondere Stellung ein („Pflaumheim im Bachgau“ von Josef Schuck,1937, S. 132). Der gemeindliche Steinbruch (heute Grillplatz) war schon im Mittelalter in Betrieb, schreibt Schuck weiter. Tüchtige Steinmetze verewigten sich durch Bildstöcke und Bildhauerarbeiten an den Häusern. Die Arbeitszeit sei lang, der Lohn klein und der Durst infolge des Steinstaubes groß gewesen, so Schuck. Zu hoher Blüte kam das Steinhauerhandwerk namentlich seit Einwanderung der Schuler aus Tirol nach 1700, schreibt Schuck. Von dem berühmtesten der Schuler, dem Johannes Schuler, existierte der allerdings stark verwitterten Grabstein, den der Geschichtsverein Pflaumheim e.V. in den letzten Jahren hat neu herstellen lassen (Fa. Natursteine Manfred Zahn, Pflaumheim), um die Erinnerung an die Steinmetzen aus Tirol zu erhalten, zumal ein Großteil der Pflaumheimer Einwohner als Schuler-Nachkommen gelten. Pflaumheimer Steinmetze, Steinhauer und Maurer waren in der Kaiserzeit am Bau des Reichstages in Berlin (Juni 1884 bis Dez. 1894), dem „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ von Juni 1887 bis Juni 1895 (auch „Nord-Ostsee Kanal“ genannt) und anderen öffentlichen Bauten sonst wo beteiligt. Die Steinmetze waren eigentlich der erste Pflaumheimer Traditionsberuf. Über Jahrhunderte verdienten die meisten Pflaumheimer Männer als Steinmetze und Steinhauer in den sieben Steinbrüchen der Gemeinde das tägliche Brot. Nach Feierabend strömten die Männer scharenweise dem Dorfe zu, heißt es bei Schuck (Heimatbuch von 1937). Die Zahl der Steinmetze ging ab 1900 immer mehr zurück, der ungesunde Beruf (Staublunge) mit geringer Lebenserwartung wurde jetzt eher gemieden. Man fand in den aufkommenden Schneiderwerkstätten anderweitige Arbeit. Die Werkstatt von Schneidermeister Albert Rachor ca. 1913 Mit den Heimschneidern folgte der nächste Traditionsberuf. Die Anfänge der Konfektionsschneiderei im Aschaffenburger Raum begannen im Jahre 1868 in Glattbach, wo der damals 20jährige Schneider Johann Desch begann Anzüge in verschiedenen Größen auf Vorrat anzufertigen. Dieser neue Erwerbszweig stieß auch in Pflaumheim auf Resonanz und es begann die Heimschneiderei. Der erste Pflaumheimer Konfektionsschneider war Johann Raab (*1831 +1911) (Bild links) , so berichtet Josef Schuck im Heimatbuch „Pflaumheim im Bachgau“, S.133. Er lud alle 14 Tage seine Arbeit auf einen Schubkarren und schob sie nach Frankfurt. Nach anderthalb Tagen brachte er einen Schubkarren voll neuer Arbeit mit. Später ging ein Fuhrwerk allwöchentlich nach Frankfurt, berichtet Schuck weiter. Die Heimschneiderei brachte neuen „Wohlstand“ in das Umland von Aschaffenburg. In den 1930er Jahren wurde in Pflaumheim in über 120 Schneiderwerkstätten fleißig genäht, schreibt Schuck 1937. Laut einer Aufstellung aus dem Jahre 1905 hat Pflaumheim 13 Heimschneider-Werkstätten mit 26 Beschäftigten. In einer Statistik aus dem Jahre 1955 werden für Pflaumheim 178 Heimschneider angegeben (Frankfurter Wirtschafts- und sozialgeographische Schriften, Heft 61, 1992.) Tatsächlich aber ist die Zahl der Beschäftigten noch höher, wenn man die Familienangehörigen dazu zählt, die ebenfalls mit in die Produktion eingespannt sind. Dazu gehören oftmals auch Kinder und Greise zum Reihfäden ziehen und zu kleinen Handreichungen, wie „Dünstlappen“ auflegen und anderes machen müssen.In diesem Zusammenhang ist zu berichten, dass die ganze Familie mit in den Arbeitsprozess eingespannt gewesen war, wie auch die Arbeitszeit von sieben Uhr früh bis mindestens abends acht Uhr gedauert hat und selbst auch noch samstags bis zum frühen Nachmittag gewerkelt wurde. Oft wurde auch nachts noch genäht, zumindest wenn am nächsten Tag Liefertermin angesagt war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es auf dem flachen Land noch keinen elektrischen Strom. Dieser wurde in Pflaumheim erst 1920 verlegt. Vorher ging es in der Schneiderei nur per Hand, beziehungsweise mit den Nähmaschinen nur per Fußbetrieb und es gab noch keine elektrischen Bügeleisen. Da wurden die Eisen mit Kohlen aufgeheizt und auch noch mit Petroleumlampen die Werkstatt „hell“ gemacht. Ganz zu schweigen von dem Geruch und dem Gestank, der damit verbunden gewesen war. Nur Fleiß, lange Arbeitszeit und Zusammenarbeit in der ganzen Familie bracht den „Wohlstand“ mit der Schneiderei. Aus heutiger Sicht, im Rückblick betrachtet, war es nur gut, dass die Heimschneiderei eingegangen ist. In Wirklichkeit war es nach meiner Auffassung eine Plackerei. Selbst am Sonntagmorgen, nach dem Kirchgang, waren der eine oder andere „Chef“ noch in der Werkstatt um für die neue Woche „einzurichten“, damit die Arbeit am Montag zügig weitergehen konnte. Der Schneiderberuf war fast ohne Alternative für die heranwachsenden Generationen. Vom Geburtsjahrgang 1928/29 wurden von 22 Buben 14 davon Schneider (Lothar Rollmann in der Festschrift zur 60 Jahrfeier des Schuljahrgangs am 22.April 1989). Von den 21 Mädchen gingen viele als Näherinnen in die Schneiderwerkstätten. Einige von den Buben die andere Berufe ergriffen hatten landeten letztendlich später auch in der Schneiderei. Ähnlich sieht das Berufsbild auch bei anderen Jahrgängen aus. Die meisten Buben wurden Schneider. Einige Meister entwickelten sich als wahre „Lehrlingsfabriken“ für den Schneidernachwuchs. So der Schneidermeister Friedrich Stegmann, als "Fritzje“ besser bekannt. Seine Werkstatt hatten etwa 50 „Stifte“ durchlaufen (Gruppenbild links, auf dem allerdings nur 31 zu sehen sind). Mit der Heimschneiderei entstanden auch einige Transportunternehmen, wie Franz Keimig in Mosbach und Adam Heid in Radheim sowie später auch Hans Dittmann in Pflaumheim, die sowohl die Fertigprodukte in die Aschaffenburger Kleiderfabriken transportierten als auch die neue Arbeit brachten. Oft waren sie auch die einzige Verbindung vom Heimschneider zum Fabrikanten. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden dann in den Schneiderdörfern die sogenannten Zwischenmeister und schließlich auch Kleiderfabriken. So auch in Pflaumheim etwa um die zehn Kleiderfabriken , die aber mit der Zeit wegen den Billigproduktionen im nahen und fernen Osten schließen mussten. Der letzte Pflaumheimer Schneider ist Erich Rollmann in der Johannisburgstraße, der aber kein Heimschneider im herkömmlichen Sinn ist. Copyright © 2019 by Geschichtsverein Pflaumheim 2006 e.V. Text: Lothar Rollmann, Bilder privat
Bearbeitet: Herbert Rachor |